Die Dachrinne

Verneřice

Im herrlichen Mittelgebirge zwischen der Polzen und der Elbe liegt der Industrieort Wernstadt, wo Josef Leitenberger um das Jahr 1770 eine der ersten Kattundruckereien und 1797 die erste Maschinenspinnfabrik in Böhmen errichtete.

Zu den schönen Sagen, welche in Wernstadt erzählt werden, gehört auch die folgende.

Als die Schweden in den Jahren 1639 und 1640 ihre verheerenden Raubzüge durch Böhmen unternahmen und durch ihre Eilmärsche die kaiserlichen Truppen aus ihren Stellungen verdrängten, wurde auch Wernstadt von Seite der Schweden durch einen Überfall heimgesucht. Dieser unerwartet schnelle Überfall galt jedoch weniger dem Städtchen und seinen Bewohnern als vielmehr dem dortigen Befehlshaber der kaiserlichen Truppen, dem Herzoge von Lauenburg. Dieser hatte in der berühmten Schlacht bei Lüzen auf schwedischer Seite gefochten und war, als der Schwedenkönig Gustav Adolf fiel, in seiner Nähe gesehen worden. Durch die Aussage es königlichen Pagen kam nun der Herzog in den Verdacht, König meuchlerisch erschossen zu haben, und dieser Verdacht wurde durch die Flucht des Herzogs und seinen Übertritt zu den Kaiserlichen in den Augen der Schweden zu völliger Gewißheit. Sie verfolgten daher den Herzog, wo sie nur irgend eine Möglichkeit sahen, denselben in ihre Hände zu bekommen. Daher galt auch ihr Überfall von Wernstadt hauptsächlich dem Herzoge von Lauenburg und war so gut vorbereitet, daß der Herzog samt seinen Truppen gefangen worden wäre, wenn nicht seine Wirtin, die durch den Kriegslärm zuerst aufmerksam gemacht worden war, ihm noch rasch und rechtzeitig ein gutes, aber sonderbares Versteck angewiesen hätte! Übrigens gelang die Beseztung der Stadt nicht ganz ohne Kampf. Denn als die Schweden spät in der Nacht von Tetschen heranrückten, so stießen sie am Wege gegen Reichen auf eine Streifwache, und es entspann sich ein kleines Gefecht, worin zwei Schweden ihren Tod fanden. Wo sie gefallen waren, dort wurden sie auch begraben. Auch befand sich an der Stelle noch zu Anfang des 19. Jahrhundertes ein großer Stein, welchen das Volk als Schwedenkreuz bezeichnete. Bei dem Baue einer neuen Straße wurde der Gedenkstein verschüttet und in der Nähe ein Holzkreuz errichtet, welches nun ebenfalls Schwedenkreuz genannt wurde.

Wo befand sich nun wohl der Herzog? Zwischen den Häusern NR. 139 und 140, welche noch jetzt am Wernstädter Marktplatze liegen, jedoch in neuerer Zeit umgebaut worden sind, stießen die Dachseiten eng aneinander, und zur Abhaltung von Regen und Schnee lag auf den beiderseitigen Mauern eine Dachrinne, welche aus einem großen Baumstamme gehauen und so stark war, daß sich ein Mann bequem hineinlegen konnte. Auch führte vom Boden des Hauses NR. 139 ein kleines Türchen hinaus, damit man im Frühjahre Schnee und Eis aus der Rinne forträumen könnte. In dieses sichere, aber allen Unbilden der Witterung ausgesetzte und dabei auch unbequeme Versteck hatten die Bewohner jenes Hauses ihren Gast verborgen, und der Herzog konnte es in seinem Dachrinnenlager sehr gut hören, wie auf seinen Kopf ein Preis gesetzt und sein Verhehlen mit dem Tode bedroht wurde; denn Preis und Drohung wurden von den Schweden unter Trommelschlag auf dem Marktplaße bekannt gemacht. Aber die Beschützer des gefährdeten Herzogs ließen sich weder durch den ausgesetzten Preis verführen, noch durch den drohenden Tod schrecken. Denn obwohl Mehrere um das Geheimnis gewußt haben müssen, so gab es doch keinen Verräter darunter, und man beschloß, so bald als möglich den Herzog aus seinem Verstecke hinter die Linien der Schweden zu führen. Dennoch mußte der Herzog drei Tage und drei Nächte in seiner Dachrinne verbringen, ehe es eine Möglichkeit zur Flucht gab. Denn der ganze Ort lag voll Schweden. Auch konnte man nur des nachts dem Herzoge das notwendige Essen und Trinken bringen. Endlich nahte die Stunde der Flucht. In finsterer Nacht verließ der Lauenburger die schützende Dachrinne und wurde von seinem Wirte in den sogenannten Bochenshof geführt, wo er sich, mit Stroh umwunden, auf den Boden eines Düngerwagens legen mußte and darauf mit Stroh und Dünger zugedeckt wurde. In diesem Zustande wurde er am Morgen über den Markt gefahren. Zweimal wurde der Wagen von den Schweden angehalten, welche aber zum Glück nichts fanden. So ging denn glücklich bis in den sogenannten Bärengrund, wo der Wagen abgeladen wurde und der Herzog von Lauenburg, den man mit Bauernkleidern versehen hatte, von seinen Rettern undd Befreiern dankend Abschied nahm. Zugleich versprach er ihnen, wenn er so glücklich sei, den Händen der Schweden zu entkommen, so wolle er seinen Rettern es nicht vergessen, was sie gewagt hätten, um ihren Schützling vor der unvermeidlichen Gefangenschaft und einem schmachvollen Tode zu retten. Wirklich gelang es ihm, insgeheim durch die Schweden zu kommen und sich in Schlesien dem kaiserlichen Heere wieder anzuschließen. Doch hat der Herzog seiner Befreier nicht vergessen. Nach dem Abzuge der Schweden aus Böhmen erhielten sie von ihm eine Summe Geldes, daß sie die Unbilden der schwedischen Überrumpelung leichter vergessen konnten. Auch bekam Wernstadt das Recht des freien Salzbezuges. Leider sind viele von den alten Schriftstücken im 18. Jahrhundert durch einen großen Brand zu Grunde gegangen. Doch die Sagen vom Überfalle der Schweden, vom Verstecke in der Dachrinne und von der Flucht des Herzogs auf dem Düngerwagen haben sich im Munde der Einwohner von Wernstadt noch dunkel erhalten. Die Dachrinne, in welcher der Erzähler, dem wir folgen, als Knabe Versteckens spielte, ist vor einigen Jahren einem Umbaue zum Opfer gefallen, den der damalige Bürgermeister Ferdinand Lehmann an dem Hause NR. 139 vornahm. Bald nachher ist auch Bochens Haus und Hof gänzlich abgebrannt.

Quelle: Anton Paudler Sagenschatz der Deutschböhmen


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Vermuteter Sagen-Ort (ich war ja nicht dabei). Wer es besser weiß, kann mir bitte bitte einen Tipp geben.