Die Wunderpflanzen des Valtenberges

Neukirch/Lausitz

Alljährlich am Himmelfahrtstage, wenn die Bevölkerung Neukirchs und der benachbarten Orte ihre uralt hergebrachte Wallfahrt nach dem Gipfel des Valtenberges antritt, kommen Wenden, Männer und Frauen, mitunter weit aus ihrer nördlichen Heimat hergewandert, um auf genanntem Berge die Sprossen des Hexenkrautes zu pflücken. Diese sollen Menschen und Vieh sicher machen vor den Schäden bösen Zaubers.

Ebenso erscheinen am Johannistage Wenden auf dem Valtenberge, um die Wurzel einer Pflanze zu graben, welche sie «swjateje Maryne koruschki» (der heiligen Maria Wurzel), die Deutschen hiesiger Gegend aber «Marienbiß» oder «Aalwurzel» nennen. Unter diesem Namen ist die Weißwurz (Poligonatum multiflorum) zu verstehen. Aus der Wurzel genannter Pflanze schnitzen die Wenden Amulets, welche Wohlstand und Glück verleihen sollen. Einer solchen «Glückswurzel», die als Geheimnis sorgfältig gehütet werden mus, gibt man ungefähr die Form eines sehr kleinen Efeublattes ohne Stil, auf dessen Oberfläche eine ebensolche viel kleinere Figur sich plastisch abhebt. Einer der beiden Dreizacke wird als die Hand des guten Geistes gedeutet. Eigentümlicherweise zeigt derselbe gegenüber der anderen, rasch verdorrenden und als Kralle des Czert (Teufel) bezeichneten Figur eine auffällige Frische. Begeben sich die wendischen Frauen zur Stadt, um ihre ländlichen Erzeugnisse feil zu bieten, so werfen sie auf den Boden ihres Korbes den glückbringenden Talisman. Zauberkräftig ist letzterer aber nur, wenn er aus einer Pflanze des Valtenberges geschnitzt ist.

Am Johannistage mittags zwischen zwölf und ein Uhr schlüpft wohl zuweilen eine ältere Neukircherin an den Abhängen des Valtenberges, namentlich am sogenannten «Ratwitzer» und «Lichwald» dahin, um geheimnisvoll schweigend das «Wolfskraut» zu erspähen. «Fette Henne» (Sedum Telephium) ist der schriftgeniale Name der gesuchten Pflanze. Leise bückt sich die Frau und schneidet Stengel um Stengel davon ab, bei jedem Schnitte kaum vernehmbar einen Namen flüsternd. Es sind die Namen ihrer Lieben, für die sie je einen Schößling heimträgt. Sorgfältig merkt sie sich die nunmehr benannten Stengel und bindet dieselben, daheim angekommen, mittels dünner Fäden an die Stubendecke, so daß die Spitzen nach unten, die Schnittenden aber nach oben gerichtet sind. Dem Familiengliede nun, dessen Stengel noch lange fortgrünt, ist ein langes Leben beschieden, demjenigen aber, dessen Wolfskraut bald verwelkt, ist sein Ende nicht mehr fern.

Quelle: Meiche Sagenbuch der Sächsischen Schweiz und ihrer Randgebiete


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Vermuteter Sagen-Ort (ich war ja nicht dabei). Wer es besser weiß, kann mir bitte bitte einen Tipp geben.