Die wappengeschmückten Häuser, mit der ehrwürdigen Jahreszahl unter dem Giebel, haben ihre Spitzen Schindeldächer wie Mützen über die Ohren gezogen und kauern verschlafen an der steilen Bergstraße. Aus der fruchtbaren Teplitzer Ebene klimmt das Städtchen in einer engen Talfurche zur Höhe des Erzgebirges empor, und wer jemals die Bergstadt Graupen an einer mondhellen Sommernacht gesehen hat, wird diesen Anblick nie vergessen.
Es ragt aus alten Tagen
Die Bergmannsstadt ins Land,
Umsäumt vom grünen Band,
Umweht von grauen Sagen.
Auf schmalem Joch, die Häuser der Bürger überragend, steht die Ruine der Rosenburg; doch von dem einst so felsenfesten Graupener Schlosse kämpft nur noch ein Wartturm mit stolzer Stirn gegen Sturm und Wetter. Einst lebte hier, in den Zeiten Karls des Vierten, der königliche Kammermeister Thymo von Kolditz. Reich und geachtet, hielt er ein gastfreies Haus. Da Herr Thymo in Böhmen und Meißen weite Ländereien sein eigen nannte und manches Dorf besaß, ward seine Geldtruhe nie leer, so wenig er auch kargte.
Wenn der Kammermeister auf der Rosenburg weilte, kam buntes Leben in das sonst so stille Graupen. Ritter und Barone zogen hoch zu Roß nach dem Schlosse, um sich an wagemutigen Turnieren zu erfreuen; schöne Frauen wurden in Sänften die Burgstraße empor getragen, denn im Saale droben stimmten die Spielleute ihre Tanzweisen an. Auch mancher hochwürdige Herr zwängte seinen wohlgenährten Leib in die Reisekutsche, weil Thymo von Kolditz den besten Wein im Keller hatte. Bis in die Nacht pflegte man zu tafeln, vom fürstlichen Aufwand zeugten die Prunkmahle und am nächsten Tage drängten sich die Armen noch vor dem Schloßstor, um reiche Nachlese zu halten.
Der Adel des Landes schätzte die Freundschaft Thymos sehr; so lustig, wie auf der Rosenburg, vergnügte man sich nirgendwo und namentlich die jungen Herrn warben um den Vorzug, dort Gäste zu sein, denn sie schwärmten für Katharein, die anmutige Nichte des Burgherrn. Katharein von Dohna fand auf Graupen eine neue Heimat, als sich über dem Sarge ihrer verwitweten Mutter der schwere Gruftstein geschlossen hatte.
Das Edelfräulein war fast ein Kind noch, von blumenhafter Schönheit und sehr fromm. Wenn sie in der Kirche kniete, blond und zierlich wie ein Altarengel, die blauen Augen voll unschuldiger Scheu zur Mutter Gottes erhoben, da hätte niemand dieser zarten Erscheinung eine heimliche Leidenschaft zugetraut und doch liebte Katharein den Erben des Gotscheer Ländchens, den braunen, stattlichen Gotsche Schaff, der es feinem Vater gleich tun wollte an Tapferkeit, denn der alte Gotsche war im ganzen Abendland berühmt durch den tollen Ritt auf der Mauer des Kynasts.
Niemand hatte eine Ahnung von dem rosenfarbenen Liebesband, das die Herzen der beiden verknüpfte. Es war eine zarte und verschwiegene Neigung. Das Fräulein sah den jungen Ritter zum ersten Mal bei dem großen Ringstechen, das die Bürger der jüngst gegründeten Neustadt dem Kaiser Karl zu Ehren in Prag veranstaltet hatten. Der Zufall fügte es, daß Katharein dem glutäugigen Gotsche den Siegespreis reichen durfte. Er empfing die seidene Feldbinde, neigte sich tief vor dem Edelfräulein und sah sie beglückt erröten. An jenem Abende führte Gotsche das Fräulein von Dohna zum Reigen und die jungen Leute verlobten sich heimlich.
Die Festtage auf der Hradschiner Hofburg waren schnell verrauscht. Katharein lebte wieder im stillen Graupen. Oft musste sie des fernen Trauten gedenken, der als kaiserlicher Kämmerling in Prag höfischen Dienst übte und zum Begleiter des jugendlichen Königs Wenzel bestimmt war. Gotsche hatte die Kunst des Schreibens nicht erlernt und auch Katharein verstand nicht, die Feder zu führen. So flogen nur die Gedanken der beiden gleich zärtlichen Tauben über das blühende Land. Katharein hatte Gotsche das Versprechen gegeben, keines andern Weib zu werden, aber es reizte sie, diesen Treuschwur als ein Geheimnis zärtlich zu hüten. Oft ließ sie sich ihre Harfe von der Dienerin nach dem Söller tragen und sang das sehnsüchtige Minnelied:
Nach meinem Liebsten ist mir weh'.
Es blüht der Beiel, es duftet der Klee,
Allüberall grünt es im Walde,
Kommt der Geliebte denn nicht balde?
Es ritt mein Ritter weit von hinnen,
Wer aber kommt, um mich zu minnen?
Und eines Tages kam ein schlanker Rittersmann auf die Rosenburg, der hatte eine Antwort für die scheue Frage Katbareins. Friedrich von Schönburg, der Sohn eines Meißnischen Ritters, kam geradenwegs aus Prag, wo er als Forstmeister und geachteter Jagdgeselle König Wenzels gewirkt hatte. Jetzt lag sein greiser Vater auf dem Siechenbette und so mußte Friedrich nach der väterlichen Burg zurückkehren, die er über dem Hofdienst fast vergessen hatte. Am Prager Hofe hatte Gotsche mit dem Schönburger gute Freundschaft gehalten. Gotsche, der sonst recht verschlossen war, vertraute sich Friedrich an, sprach viel und oft zu ihm von der blonden Katharein. Verwandte Meinungen, den gleichen vornehmen Sinn suchte er in dem Genossen, und Friedrich von Schönburg war der einzige am Königshofe, der von der Verlobung Gotsches erfuhr. Als nun Herr von Schönburg seine Entlassung beim Könige nahm, um nach Meißen zu eilen, gab ihm der Freund viele Grüße für seine Katharein mit. „Unterlasse es ja nicht auf der Rosenburg zu rasten, guter Gesell", bat Gotsche eindringlich, ,,Sage meiner Braut, daß ich sie in Treuen liebe, daß sie allein mein Herz besitzt. Bald soll die Zeit kommen, wo ich vor ihren Oheim treten darf, ihn um die Hand Kathareins zu bitten." Friedrich versprach alles, schüttelte dem Freunde herzlich die Hand und stieg dann in die vierspännige Reisekutsche. Seitdem waren viele Tage vergangen, sie reihten sich zu Wochen, wurden lange endlose Monate und noch immer hörte der Liebende nichts von seinem Mädchen; die so sehnlich erwartete Botschaft blieb aus. Unterdessen hatte Gotsche dem Kaiser und dem Könige in das Jagdschloß zu Pirna folgen müssen. Dort, nach einer Ewigkeit von drei Monaten, hörte er zum ersten Male wieder den Namen Kathareins nennen. Er erfuhr durch einen Meißnischen Edelmann, daß Ritter Friedrich das schöne Fräulein von Dohna bereits vor zwei Wochen als sein eheliches Gemahl heimgeführt habe.
Vom Freund und der Geliebten betrogen, mußte Gotsches schwärmerisches Jünglingsherz die schwerste Last ertragen, die das Schicksal einem jungen Gemüt aufbürden kann. Zuerst flammte die Gier nach Rache in seinem beleidigten Herzen auf und er wollte den Verräter für die erlittene Schmach vor die Klinge fordern, doch der Gram um Katharein wühlte tiefer und seine Seele erkrankte schwer an der Enttäuschung. Er lag lange vom Fieber gequält und als er endlich wieder genas, schien sein Frohsinn für immer geschwunden. Seitdem ertrug er das Leben nur in dem sicheren Gefühl, früh oder spät Rache üben zu können an dem Dieb seines Glückes.
Kaiser Karl, der den jungen Ritter als munteren Gesellschafter schätzte, war über das veränderte Wesen Gotsches sehr erstaunt. Der lebensfrohe Hofmann war plötzlich zu einem finsterblickenden, wortkargen Menschen geworden. Gotsche stand in besonderer Huld des Herrschers und dem Kaiser tat es leid, feinen Liebling so traurig zu sehen. Bei einer Jagd winkte ihn der Gebieter zu sich heran, ließ das Gefolge zurück und begehrte den Grund seines Grams zu wissen. So erfuhr der Kaiser das Geheimnis des Gotsche. Karl der Vierte hielt den Landfrieden heilig, ihm war nichts peinlicher, als wenn Adelige einander anfielen und sich die Burgen über den Köpfen anzündeten. Nun sprach der junge Edelmann von feinem Haß zum Schönburger, sprach von der Rache, nach der ihn dürstete; der Herrscher selbst konnte es vor seinem Gewissen nicht unbillig finden, daß Gotsche den Verräter blutig zu strafen gedachte. Aber das Gesetz stand dem Kaiser näher, er duldete keine adeligen Fehden und warnte daher den Rachedurstigen vor einer Gewalttat. Gotsche schwieg zu der kaiserlichen Mahnung, allein sein Entschluß, dereinst ein Strafgericht zu halten über den Betrüger, stand fest und er hoffte, sobald es seine Dienstgeschäfte zuließen, eine Gelegenheit zur Rache zu finden.
Mit den besten Absichten war Friedrich auf die Rosenburg gekommen. Er freute sich, den Waffenbruder seines Vaters wieder zusehen und Thymo von Kolditz empfing den Sohn des alten Freundes mit offenen Armen. Der Gast mußte viel von Prag berichten, vom Leben und Treiben am Kaiserhofe, von den Jagdfesten und Gelagen des letzten Winters. Dann ließ Thymo seine Nichte rufen und das blonde Fräulein bot dem Schönburger einen Willkommentrunk.
Gotsche hatte oft von seiner Braut zu Friedrich geschwärmt, hatte ihre Anmut begeistert geschildert und doch verlor der gewandte Hofmann jetzt, da er vor dem Mädchen stand, die Fassung. Friedrich war als Liebesbote gekommen, um Grüße Gotsches zu bestellen, aber die rote Flamme der Leidenschaft schlug in seinem eigenen Herzen empor und machte ihn zum Verräter an dem Freunde. Wie zufällig mischte er in das Gespräch mit Thymo ungünstige Bemerkungen über den fernen Gotsche und erzählte Schandtaten aus dessen Lebenswandel, sobald Katharein anwesend war. Das wüste Treiben des Geliebten mußte den adeligen Sinn, die vornehme Gesinnung der Jungfrau verletzen. Ihr Kummer wandelte sich aber in Empörung und Haß, als Friedrich einmal leise andeutete, daß Gotsche mit der Liebe eines vornehmen Landedelfräuleins in luftiger Gesellschaft geprahlt hatte.
Friedrich von Schönburg wollte anfangs nur eine kurze Rast auf Graupen halten, allein der flüchtige Aufenthalt wurde zu einem langen Besuch. Der schmucke Rittersmann hatte sich im Hofdienst ein geschmeidiges Wesen angeeignet und so wurde es ihm leicht, das Vertrauen Kathareins zu gewinnen. Er umschmeichelte sie mit schönen Worten und fand schnell den Weg zu ihrem Herzen. Thymo von Kolditz war dem Sohne feines alten Kriegsgenossen sehr gewogen und er sah mit Vergnügen, wie der Schönburger um die Nichte warb. Wer Blick hat, darf die Braut heimführen und Friedrich hatte Glück; bald gab es in der Bergstadt Graupen ein fröhliches Hochzeitsfest.
In dieser Zeit stritten zwei hohe Herren um das Erzbistum Mainz. Adolf von Nassau gönnte dem jungen Landgrafen zu Thüringen den Krummstab nicht und wollte Ludwig das Erzbistum entreißen. Aber der Sohn Friedrich des Strengen wußte Papst und Kaiser auf seiner Seite, wogegen der Nassauer nur vom Domkapitel zum Erzbischof ernannt worden war. Die beiden Widersacher gerieten so hart an einander, daß Ludwig mit Hilfe seines Vaters den Gegner in Erfurt einschloss und belagerte.
Friedrich dem Schönburger war nur ein kurzer Ehefrühling vergönnt. Mitten im ersten Honigmond musste er ins Feld, denn als Lehensmann des Landgrafen befand er sich jetzt in der bedrängten Stadt. Schon hatten die Belagerten mehrere Ausfälle gewagt, waren aber stets mit erheblichen Verlusten hinter die Mauern Erfurts zurück getrieben. Ein langer Krieg mit feinen verheerenden Folgen schien sicher. Dem Kaiser war jeglicher Unfrieden ein Greuel, er wollte auch diesen Streit schlichten und entschloß sich, in eigener Person gegen Erfurt zu ziehen. Begleitet vom Könige Wenzel und einem machtvollen Heerbann, langte er vor der belagerten Stadt an. In der nämlichen Stunde, da Kaiser Karl sein Lager aufschlagen wollte, wagten die Belagerten einen Ausfall auf die Sachsen. Sofort befahl der Kaiser, daß seine Ritter in die Schlacht eingreifen sollten, um den sächsischen Streitern beizustehen.
Laut schlugen die blanken Schwerter gegeneinander, die Lanzen splitterten, die Rosse wieherten und die Streiter brüllten ihr Feldgeschrei. Mitten im Kampfgewühl erspähte der Kaiser einen sächsischen Edelmann, der sich zu weit vorgewagt hatte und vom Feinde arg bedroht aus mehreren Wunden blutete. Nur noch schwach vermochte sich der Ritter zu verteidigen und schien verloren; da sprang Gotsche, der auch im Bordertreffen kämpfte, wie ein erzürnter Löwe herbei und hieb sich eine Straße durch den Feind, bis er zu dem schwer Getroffenen vor drang, dem schon die Sinne zu schwinden drohten. Unbekümmert um das Toben der Schlacht, kniete Gotsche vor dem Niedergesunkenen, dem er das Leben gerettet hatte und brachte ihn aus tiefer Erschöpfung wieder zu sich selbst.
Die Schlacht war geschlagen, der eherne Wille des Kaisers zwang die Nassauer zur Flucht. Ihre ungeordneten Rotten fluteten eilig in die Stadt zurück und schnell schlossen sich die Tore hinter ihnen. Kaiser Karl ritt nun selbst über die Walstatt und begegnete dort dem trefflichen Gotsche. Dieser bemühte sich immer noch brüderlich um den geretteten Edelmann, stützte sein Haupt und verband ihm die Wunden. Der Kaiser lenkte das Schlachtroß näher und fragte den Schwerverletzten: „Wer bist Du und wie nennst Du Dich, Rittersmann ?"
„Ich bin Friedrich der Schönburger", sprach der Verwundete
mit schwacher Stimme und mühte sich, das Visier seines Helms zu lüften. Betroffen blickte der kaiserliche Herr zu Gotsche hinüber, der eben seine Feldbinde um den zerschmetterten Arm des Todfeindes band. Durch den verhaßten Namen ließ er sich in dem barmherzigen Werk nicht stören und ohne Bedenken opferte er die Feldbinde, dieses einzige Andenken, das ihm von Katharein geblieben war.
Da der Kaiser jetzt die beiden Männer betrachtete, fiel ihm ein, wie schmachvoll der Schönburger an dem Standesgenossen einst gehandelt hatte und herzlich bewegt, bot er vom Pferde herab Gotsche, als einem echten Edelmann, die Hand.
Die Hand Gotsches war von dem Blute des Schönburgers rot und da er sie dem Kaiser reichen sollte, wischte er sie vorher an seinem Brustharnisch ab; so blieben auf dem silberbellen Stahl vier tiefrote Streifen zurück. ,,Diese vier blutigen Streifen wirst Du einrosten lassen", sprach der Kaiser huldvoll, sie sollen zur dauernden Erinnerung werden für eine ritterliche Rache!"
Raiser Karl schenkte ihm dies Wappen, als er im nämlichen Jahre den Trefflichen zum Burggrafen von Hirschberg erkor. Bald darauf beglückte unfern Ritter auch die Liebe. Anna Berka von der Lippe wurde seine angetraute Frau und sie beide sind die Stammeltern eines kühnen und edeln Geschlechtes, des Schafgott'schen Grafenhauses.
So das Ehrenschild Gotsches im Wechselspiel der Jahrhunderte von einem berühmten Geschlecht oft noch mit gerechtem Stolz geführt worden, als ein Sinnbild vornehmer Gesinnung, und ein Denkmal wahrhaft ritterlicher Rache.
Quelle: Oskar Wiener Böhmische Sagen
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