Vom flinken Knecht zu Rechenberg

Rechenberg-Bienenmühle

An der südlichen Grenze des meißnischen Erzgebirges lebte vor alter Zeit ein wohledler Ritter, mit Namen Kurt von Rechenberg, auf seinem Stammschlosse Rechenberg an der Mulde, von welchem sich noch jetzt Ruinen auf einem Felskegel am rechten Talgehänge inmitten des freundlichen Fleckens Rechenberg vorfinden. Hochbegütert und vom Glanze einer zahlreichen Dienerschaft umgeben, lebte der fromme Edelmann gar glückliche Tage dahin. Seine Diener hielt er gleich eigenen Kindern wert, und er wurde darum von allen auch wieder geliebt wie ein Vater.

Da geschah es eines Tages, dass ein junger, dürftig gekleideter Bursche aus fremden Landen zum Ritter kam und ihm seine Dienste
anbot. Das treuherzige Wesen des jungen Mannes, der erzählte, wie viel Elend er schon habe ertragen müssen, gefiel dem Herrn von Rechenberg und er nahm ihn in seinen Dienst.
Georg - so hieß der junge Bursche - war munter und stink auf den Füßen, er flog gleichsam wie ein Pfeil, wenn ihn sein Herr irgendwo hinsandte, und seiner tätigen, willfährigen und geschickten Hand glückte alles wunderbar, ja, es schien ordentlich, als wenn ein besonderer Segen auf seinem Thun ruhte. Ein außerordentliches Ereignis sollte seine Verdienste um das Haus Rechenberg noch mehr ins Licht stellen.
Einst versetzten Flüchtlinge aus der nahen böhmischen Pflege die Bewohner der Burg Rechenberg in lebhafte Aufregung, denn sie meldeten, dass einige bekannte böhmische Raubritter mit ihren Mannen sich der Grenze näherten und mordend und sengend das Land verwüsteten. Darüber ward Kurt von Rechenberg sehr betrübt und er beschloss nach Rücksprache mit seinem Vogte einen Kundschafter auszusenden, um zu erfahren, wie stark die Zahl der Feinde sei. Niemand erschien ihm dazu geeigneter als sein flinker Diener Georg. Derselbe dankte für den ihn ehrenden Auftrag und wenige Minuten später jagte er auf flüchtigem Rosse hinaus zum Burgtore, dem Feinde entgegen. Bereits am andern Morgen kehrte der Knappe in das Schloss zurück. Zum Erstaunen der Burgbewohner befanden sich zwei gefüllte Säcke, einer hinten und einer vorn, auf dem Gaule. Ritter Kurt stand unter dem Tor, und befremdet wegen des seltsamen Aufzuges fragte er. „Was klirrt denn so um Deinen Sattel?“ Georg antwortete wohlgemut: „Seid getrost, Herr Ritter, alles hat gute Wege. Das sind Hufeisen, die ich den Pferden abgerissen habe, während die Feinde schliefen. Vorsichtig und dennoch sonder Hast eilte ich den Raubgesellen entgegen, immer der Grenze entlang, bis ich sie in der Nähe des Dorfes Einsiedel erblickte. Es war schon finstere Nacht und alle hatten sich sorglos dem Schlafe überlassen. Deshalb machte ich mich unverweilt an die Arbeit und glaube damit unsern Feinden einen recht üblen guten Morgen geboten zu haben, denn ohne Hufeisen sind die Spitzbuben nicht imstande, die Gebirgspfade zu bereiten, und noch viel weniger möchte es gelingen, hier herum so viel Eisen aufzutreiben, als ihnen fehlen. Damit ihr aber, gestrenger Herr, die Anzahl der Feinde schätzen möget, bracht´ ich die Eisen gleich mit, da die Dunkelheit der Nacht mich hinderte, die Feinde zu überzählen. Nun ist es wohl mit uns bestellt, und ruhig können wir uns rüsten, bevor sie sich uns nahen.“ Der Burgherr lächelte zufrieden und sagte: „Du bist, traun, ein seltsamer, aber vortrefflicher Bursche!“ Dann setzte er, zu dem Vogte gewendet, hinzu: „Entweder war das Begebnis ein Wunder, oder der Knecht Georg ist verwegen bis zur Tollkühnheit. Nun, wir wollen die Raubgesellen gehörig empfangen!“
Die Worte Georgs erfüllten sich, die Feinde nahten erst, nachdem alle Vorbereitungen zu deren nachdrücklichem Empfange getroffen waren. Sie wurden über die Grenze zurückgetrieben und dabei zeichnete sich Georg durch persönliche Tapferkeit aus, so dass er sich noch mehr die Liebe seines Herrn gewann.
Später zeigte sich die Treue und Liebe Georgs noch auf eine andere Art. Sein Herr gab ihm einst ein Schreiben, welches nach dem Rittersitze Grünau bei Marienberg bestimmt war, mit dem Bemerken, bei der Bestellung zu eilen, dieweil es Not habe, der Ort, wohin der Brief solle, fern liege und die Sonne schon tief stehe. Georg versprachs und rühmte sich, die drei Meilen bis nach dem Orte Grünau mit der Schnelle eines Vogels zurücklegen zu wollen. Nach Verlauf einer Stunde aber kam der Ritter von ungefähr in den Stall. Wie erstaunte er da, als er seinen Knecht, den er weit fort glaubte, in einer Ecke des Stalles, auf Stroh gebettet, sanft schlafend fand. Da ward der Ritter unwillig und weckte den Knecht auf, indem seine Augen in aufsteigendem Zorne funkelten, doch bezwang er sich, denn sein Herz war gut und sein Gemüt lauter und fromm. Erschrocken vor seines Herrn plötzlicher Umwandlung fuhr Georg auf und sprach: „Da, lieber Herr, - o zürnt mir nur nicht! - da ist ja schon die Antwort!“ Unter diesen Worten überreichte er das Gegenschreiben. „Bei allen Heiligen!“ Rief der Ritter aus, dessen Angesicht erbleicht war, „es ist die Wahrheit! Sage, Georg, wie wäre das wohl möglich? Du müsstest schneller als der Sturm, flüchtiger als der Raubvogel gewesen sein, um das zu vollbringen. Du warst also wirklich in Grünau?“ Und als Georg diese Frage bejahte, verfinsterten sich des frommen Rechenbergers Züge, mit stillem Grausen erbrach er zitternd das Schreiben und taumelte mit Entsetzen zurück, als er wirklich die ihm wohlbekannte Handschrift des weitentfernten Freundes in Grünau erblickte.

Nachdem er die Antwort gelesen hatte, hob er also an: „So ist es denn wahr, was ich nimmermehr für möglich gehalten hätte! Dies zu vollbringen, reicht die Menschenkraft nicht aus. Entweder bist du, seltsames Wesen, ein Bote Gottes, oder ein Abgesandter der Teufels! Die Weise Deines Thuns, wie auch Dein Thun selber ist unheimlich und verschlossen, und du scheinst mir unmöglich ein Sterblicher zu sein!“ Da verwandelte sich schnell, wie durch Zauberkraft, der rätselhafte Jüngling vor den Augen des Ritters und eine von Licht umflossene Engelsgestalt stand da, welche sprach: „Der Herr der Herren, welcher mich zu dir gesandt hat, dir zu dienen, hat mich auch zugleich befähigt, dir also tun zu können, wie ich that, sein Auge ruhte schon lange auf Deinem Haupte, dir zum Schutze. Durch mich lässt dir der Herr verkünden, wie wohl es ihm gefalle, wenn Herrscher gegen ihre Untergebenen Milde und Geduld üben! Diese hast du mir erwiesen und auch den andern Knechten. Der Herr wird dir dafür lohnen, wenn du die Menschen stets wie Deine Brüder liebst!“ Darauf verschwand der Engel wie das Rot eines Sommermorgens, den Ritter aber durchwehte Gottesfrieden, und es zog ihn in die Burgkapelle, wo er Gott für seine unendliche Gnade dankte. Er gelobte, seinen Untergebenen stets ein Vater sein zu wollen und bis an sein Lebensende hat er dieses Gelöbnis treu gehalten.

Quelle: Köhler Sagenbuch des Erzgebirges


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