Die Jeschkenweiblein

Zwischen dem Polzenlande und dem Neißetale, in welchem die hochansehnliche Stadt Reichenberg liegt, ragt der hohe Jeschkenkamm, dessen höchster Gipfel Jeschkenkoppe heißt und eine Seehöhe von 1010 Metern besitzt. Das Jeschkengebirge, welches jekt von breiten Straßen durchzogen ist und jährlich von vielen Fremden besucht wird, mag einst gar rauh und wild gewesen sein. Selbst Bären haben in den gewaltigen Wäldern gehaust, und wie die Überlieferung berichtet, ist erst am 16. Mai 1679 der lezte Bär des Jeschkengebirges erlegt worden. Er war von ungewöhnlicher Größe. Aber nicht bloß wilde Bären, sondern auch seltsame Waldweiblein sollen einst im Bereiche des Jeschkengebirges ihre Heimstätten gehabt haben. Wie die Heinzelmännchen, von welchen anderwärts so vielerlei erzählt wird, waren auch die Waldweiblein von gutmütiger Natur und liebten es, hilfreich in das Leben der Menschen einzugreifen. Aber damals waren die Wälder am Jeschken noch dicht und ursprünglich, und es gab Riesenbäume, über deren Wipfel schon gar manches Jahrhundert dahin gerauscht war. Auch zog bisweilen der Nachtjäger mit seinen Hunden und Treibern durch die gewaltigen Forste. Und wenn er kam, da krachten die Wipfel der Eichen und Buchen, es bogen sich die Fichten und Tannen, und ein rasender Sturm erschreckte Menschen und Tiere. Über dem Getöse erwachten auch die Waldweiblein aus ihrer Ruhe und ängstlich spähten sie nach einer sicheren Zuflucht. Aber schon mancher Holzhauer hatte der gutmütigen Wesen gedacht. Denn wenn er einen Baum fällte, so hieb er mit der Axt drei Kreuzlein in die Schnittsläche des Stockes. Und wenn das Waldweibchen einen so gezeichneten Stock erblickte, dann sprang es flink hinauf und duckte sich im Gefühle der Sicherheit zu neuem Schlummer. Denn auf einem solchen Stocke waren die Waldweibchen wohl geborgen, und der Nachtjäger konnte ihnen nichts mehr anhaben.

Quelle: Anton Paudler Sagenschatz der Deutschböhmen


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