Es war vor langen Jahren ein heißer Sommertag gewesen. Die Sonne hatte sich eine Güte getan und hatte vom Himmel herabgeschienen, als ob sie alles in Brand setzen und einem das ganze bissl Fett ausbrätzeln wollte. Die Luft war schwül; kein Lüftchen regte sich. - Ein furchtbares Wetter, das sich im Talkessel versackte und nicht wieder heraus konnte, kam mit schwarzen, tiefhängenden Wolken, mit entfesseltem Sturme, mit unaufhörlich zuckenden Blitzen, krachenden Donnerschlägen, schweren Regentropfen und pusselnden Hagelkörnern. Jeder, der im Schutze seines Heims sein konnte, war froh.
So froh war auch Mey Augusts verheiratete Schwester, die wir Kinder später nur als Hoyer Großmutter kannten. „Ein Wetter, daß man keinen Hund nausjagen möchte!“ sagte sie, als sie zum Fenster ihres Häuschens auf der Mühlgasse hinausguckte. „Ach, Gott, die armen Leute!“ fügte sie gleich hinzu und deutete auf ein paar Zigeunermänner und -frauen, die sich, nur mit leichten Saloppentüchern versehen, an die schrägüberliegende Hauswand drückten, um sich so gut wie möglich vor den schräg fallenden Tropfen zu schützen. Doch nützte das wenig. Die Hoyer Großmutter, gutherzig wie sie war, konnte das nicht mit ansehen. Sie riß das Fenster auf, winkte den Leuten und rief ihnen zu, sie möchten hereinkommen. Zigeuner sich ins Haus laden! Das ist nicht jedermanns Sache, der seine Sachen lieb hat. Na, sie ließen sich's nicht zweimal sagen; sie kamen mit in die Stube herein und machten es sich bequem, so gut es ging, und ließen die Kleider am Leibe trocknen. Da es weiter wetterte, blieben sie auch die Nacht über da und lagerten auf ein paar Strohschütten auf dem Fußboden.
Am Morgen war das Wetter besser. Die Fremden konnten wieder abziehen. Aber: Seht, wir Wilden sind doch bessere Menschen! Sie wollten sich dankbar beweisen. Die Hoyer Großmutter sollte sie durch das ganze Haus führen vom Keller bis unter das Dach; denn sie wollten den Feuersegen über das Haus sprechen; dann konnte ihm niemals das Feuer etwas anhaben.
Die Niedermüllern war gerade, Neugierde halber, herübergekommen und wollte sehen, was die berufenen Gäste angestiftet haben könnten. Sie hatte ihren Eintritt von der Mühle aus beobachtet. „Das wirst Du doch nicht machen!“ warnte sie. „ Die wollen sich ja bloß in Eurem Hause gut zurecht finden können. Mach's ihnen nur nicht gar zu bequem.“ Aber die Hoyer Großmutter tat's doch, denn: „Bei uns ist nichts zu holen!“ meinte sie gelassen. Die andere schüttelte den Kopf: „Du wirst schon sehen.“ Also führte die Hoyer Großmutter ihre Gäste durchs Haus, von unten nach oben und wieder zurück. Unter geheimnisvollen Zeichen und unverständlichen Worten folgten ihr die Fremden. Dann zogen sie ab. Und die Niedermüllern hat nicht recht bekommen. Sie sind nicht als Diebe zurückgekehrt.
Aber es kam der 15. September 1854, jener Unglücksmorgen, der das Städtchen zum großen Teile in Asche legte. - Das Feuer wälzte sich von der Hennersdorfer Gasse (jetzt Schandauer Straße) nach dem Markte zu und ergriff bald die anstoßenden Straßen. Alle Rettungsversuche waren umsonst. Auch über das Häuschen in der Mühlgasse ergoß sich der Funkenregen. Fast alle Gebäude in der Runde gingen in Flammen auf. Aber das kleine Häuschen der Hoyer Großmutter blieb verschont.
Das lag natürlich an dem Feuersegen, der darüber ausgesprochen worden war. Der hat auch bis zum heutigen Tage gewirkt.
Quelle: Meiche Sagenbuch der Sächsischen Schweiz und ihrer Randgebiete
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