Waren einst in Neukircher einige junge Leute durch Zufall über eins von jenen anrüchigen Büchern geraten, welche von geheimen Dingen handeln. Der Lob hatt' es in einem Winkel auf dem Boden seines alten Vaterhauses aufgefunden und dem Lieb davon unter vier Augen erzählt; der Lieb aber, der nicht sehr verschwiegen war, hatte den Ehr'gott (Ehregott) ins Geheimnis gezogen, und der Ehr'gott konnt's nicht übers Herz bringen und hatte gegen seinen Vetter Toffl von dem Zauberbuche verlauten lassen. Weiter jedoch erhielt niemand Kenntnis von dem unschätzbaren Buche, das möglicherweise die jungen Leute sehr reich machen konnte, da es eine Menge Orte in der Umgegend angab, wo noch Geld vergraben lag, und die Mittel bezeichnete, wie man sich dieses Geldes bemächtigen könne. Außerdem handelte es von Beschwörungen, und weil zu einem solchen Experiment nichts anderes gehörte, als in der Stunde der Mitternacht die Zauberformel abzulesen, so beschloß man, vor der Hand mit einem solchen Versuche den Anfang zu machen, um zu erfahren, ob die in dem Buche mitgeteilte Anleitung sich tatsächlich bewähre. - „Heut' Abend,“ sagte der Lob zu einen Freunden, „kommt um Elf zu mir, da wollen wir sehen, ob wir der Hexenscharteke trauen dürfen oder nicht.“ - Lieb und Toffl stimmten bei, und auch der Ehr'gott ließ, ungeachtet seines Namens, es sich angelegen sein, noch vor der verabredeten Stunde bei seinem Freunde einzutreffen.
Es war eine unheimliche, finstre Nacht; der Sturm schoß in mächtigen Stößen durchs Tal, der Regen klatschte mit Gewalt gegen die Fenster, der alte Birnbaum vor Lobs Häuschen stöhnte und schnaubte wie einer, der sich gegen wütende Angriffe verteidigt, und er verteidigte sich ja gegen die Elemente, welche rauschend und heulend in seinen morschen Ästen rasten. Die Burschen im wohlverschlossenen Hause kümmerten sich indes wenig darum; zum Überflüssig verriegelte man noch die Fensterladen, dann holte Lob sein Buch herbei, das ganz schwarz aussah und die enge Stube mit Modergeruch erfüllte. Auf dem Tische brannte eine alte Öllampe von Blech, der Docht wurde neu mit Ö getränkt, und dann nahmen alle an dem Tische Platz. Keiner sprach mehr ein Wort, in Erwartung der Dinge, die da kommen sollten. Lob, der die alten Zeichen noch am geschicktesten zusammenbuchstabierte, war zum Vorleser bestimmt und hatte das geheimnisvolle Manuskript vor sich liegen. Mit dem ersten Schlage der Mitternacht sollte das Werk beginnen.
Die alte Schwarzwälder Uhr hob jetzt auf Zwölf aus, und ihr Knarren kam diesmal den Burschen sehr eigentümlich vor; doch teilte keiner dem anderen seine Gedanken mit. Wieder trat tiefe Stille in der Stube ein, draußen rüttelte der Sturm an den Fensterläden, der Birnbaum seufzte und wehklagte, und auf dem Boden ließ eine Katze ihr klägliches Geschrei ertönen, dem bald eine zweite noch kläglicher antwortete.
Da schlug es Zwölf, und noch während der Kuckuck an der alten Schwarzwälder in einem fort schrie und die Flügel dazu bewegte, buchstabierte Lob schon mit möglichsten Fließ in den altmodischen Lettern, die häufig mit roten und blauen Zeichen verziert waren und ihm dadurch nicht wenig zu schaffen machten. Und immer tiefer las er sich beim Qualm der dampfenden Öllampe in die schnörkligen Buchstaben hinein, und die anderen horchten aufmerksam, als wäre es in der Kirche bei einer Trauung oder Leichenpredigt.
Der Erfolg ließ nicht lange auf sich warten; denn plötzlich entstand ein sonderbares Geräusch in der Ofenpfanne. Der Deckel sprang auf, und mit gellendem Meckern sprang ein kohlschwarzes Böcklein daraus hervor, das sehr bald anfing, auf seinen Hinterbeinen sich zu erhaben und nach seinem Schatten an der Wand zu stoßen.
„Da haben wir's,“ sagte Lieb leise, „der Zauber wirkt. Klappe dein Buch zu, Lob, wir wissen, was wir wissen wollen, das ist für heute genug. Morgen geht's auf den Falkenberg, die Braupfanne mit Gold zu holen, die dort vergraben liegt.“
Aber Lob, einmal im Eifer, war durchaus nicht der Meinung sondern las, nach einem vorwurfsvollen Seitenblick auf seinen Gefährten, herzhaft weiter. Und siehe da! Immer reicher entfaltete die Beschwörung ihre geheimnisvolle Kraft. Die kupferne Pfanne schien unerschöpflich; immer aufs neue tat sich der Deckel auf, um eine Menge zahmes und wildes Getier auszulassen, und bald war die Stube angefüllt mit schwerfälligen Eulen und plappernden Elstern, mit krächzenden Krähen und schirrenden Fledermäusen. Zu dem schon vorhandenen Böcklein gesellte sich noch eine Menge anderer nebst vielen anderen langgeschwänzten und krummgehörnten unbekannten Geschöpfen, welche im wirren Knäuel in der Stube herumdrängten.
„Eine schöne Bescherung!“ seufzte Toffl mit kläglichem Blick auf seine Freunde, „hör' um Himmels willen auf, Lob, mir stehen die Haare zu Berge!“ „Mir auch“, beteuerte Ehr'gott, dem eben eine Fledermaus an die Nase geflogen war. Der Lieb wollte auch etwas hinzufügen, doch blieb ihm das Wort im Munde stecken, als er plötzlich von hinten einen wohlgezielten Stoß von einem der schwarzen Böcklein erhielt. Es ist wahr, ein wohlausgetragenes Neukircher Kind läßt sich nicht so einfach verblüffen, und Lieb war ein solches Kind. In der Schänke hätte er den Stoß mit einem Faustschlage vergolten, der allenfalls einen Ochsen niedergetreckt haben würde; aber heute schien es ihm doch ratsam, dem Angriffe nur passiven Widerstand entgegenzusetzen.
Lob war jetzt am Ende seiner Beschwörung und hätte mit dem glänzenden Erfolge derselben sehr zufrieden sein dürfen, wenn nicht plötzlich der hinkende Boten nachgekommen wäre und einer früher übersehene Anmerkung in dem Buche ihn belehrt hätte, er müsse, um seine Gäste wieder in die Ofenpfanne zurückzubinden, die Zauberformel - rückwärts lesen.
Rückwärts lesen! Der arme Lob kratzte sich in höchster Verlegenheit hinter seinen ansehnlichen Ohren - er hatte zwar im Katechismus und Gesangbuch vorwärts lesen gelernt, aber rückwärts lesen hatte ihn sein alter Schulmeister nicht gelehrt. Große Verlegenheit! Lob teilte seinen Freunden den kitzligen Übelstand mit, die sich nun ebenfalls hinter den Ohren kratzten, - ein Ausdruck der Verlegenheit, durch den ermutigt das anwesende Getier anfing, strategisch ganz vorzügliche Angriffe auf die Beschwörer zu unternehmen. Der enge Raum wurde zum Schauplatz eines hartnäckigen Kampfes, und je eifriger die Angegriffenen bemüht waren, ihre Gegner von sich fern zu halten, desto häufiger und energischer arbeiteten die Hörner der Böcklein an ihren Rippen. Stoß auf Stoß erfolgte, und dabei meckerten die Bestien boshaft einander zu, als ob sie sich gegenseitig zu neuen Experimenten anfeuern wollten.
Ohne alle Fragen war die Lage der armen Burschen trostlos genug, besonders die des am meisten beteiligten Lob. „Da haben wir's,“ wehklagte Lieb, „ ich fühle meinem Leichnam nicht mehr und ich muß schon ganz schwarz angelaufen sein, wie ein alter Schwertgroschen. Lob, lies das Teufelsbuch zurück, oder ich vergeige mich an dir!“ „Ja Lob, lies das Buch zurück, oder ich falle mit Lieb über dich her“, stimmte auch Toffl bei. „Ich bin morsch an allen Gliedern und trage einen Knall auf zeitlebens davon. Deine verdammte Hexengeschichte!“ Schließlich beteuerte auch Ehr'gott, den Lob „windelweich dreschen“ zu wollen, wenn er nicht sofort das Viehzeug entferne, so daß der unglückliche Beschwörer in die äußerste Verlegenheit geriet. Aber da kam im plötzlich ein Gedanke; wie ein Lichtstrahl fiel es in die Nacht seiner Bedrängnis, und mit dem Ausrufe: „Bleibt nur hier, ich werde sogleich Hilfe herbeischaffen!“ stürmte er durch ein Fenster ins Freie und geraden Wegs der Pfarrerwohnung zu.
Der Prediger saß noch angekleidet in seinem Studierstübchen, mit wissenschaftlichen Arbeiten beschäftigt, als sein Beichtkind atemlos hereinstürzte und ihm in abgebrochenen Sätzen von seiner Bedrängnis ein lebhaftes Bild entwarf. Der Pfarrer winkte ihm Stillschweigen zu, als er gar nicht fertig werden konnte. „Schon gut, schon gut, ich weiß, was du mir sagen willst… ich habe schon seit einer Viertelstunde auf dich gewartet!“ „Um so besser, Herr Pastor, so sei Er nur so gut und komme Er, uns aus unserer Bedrängnis zu helfen, ich will auch in meinem Leben kein Zauberbuch mehr in die Hand nehmen. Komm' Er schnell und les' Er das Buch zurück, sonst wird der Lieb noch zu Schanden gestoßen und der Toffl zu Brei gequetscht. Ich selber bin schon ganz kontrakt am ganzen Körper…“ „Gerechte Strafe für deinen Vorwitz!“ warf der Pfarrer trocken hin. „Er will uns also nicht helfen?! heulte Lob, der die Bemerkung des Pastors anders deutete. „O doch,“ beruhigte der Seelsorger, indem er nach seinem Stock langte, „komm, Lob, wir wollen dem Spuk zeigen, daß wir Gewalt über ihn haben!“ Bald war man an des Lobs Hause angelangt, das Fenster stand noch auf, und Pastor und Geisterbeschwörer nahmen durch dasselbe ihren Weg in das Innere, wo noch immer gekämpft wurde. „Gott sei Dank, ich komme nicht zu spät“, sagte der Pfarrer, griff nach dem Buche und las es ohne Umstände rückwärts, worauf das Getier, durch den Zauberspruch genötigt, seinen Rückzug in die kupferne Ofenpfanne antrat. Elstern, Eulen, Krähen und Böcklein verschwanden allgemach, und mit dem Schlag Eins war nicht eine der Bestien mehr in der Stube. Nachdem die letzte verschwunden, legte der Pfarrer das Buch weg, mit den ernsten Worten: „Wohl euch, daß ich noch fertig wurde! Wäre nach dem Schlag Eins noch ein einziges der höllischen Bilder hier verblieben, so hätte euch der Böse den Hals umgedreht!“
Das klang freilich sehr schauerlich; doch die Burschen waren ja von der Gefahr befreit und schöpften wieder Atem. Der Pfarrer aber kanzelte sie noch tüchtig ob ihres verwegenen Beginnens herunter und ließ sich von ihnen das Versprechen ablegen, daß sie nie wieder mit ähnlichen Dingen sich beschäftigen wollten. Die jungen Leute, die im Gefühle ihrer Rettung sonst was versprochen haben würden, legten das Gelübde freudig ab, und der Pfarrer verließ sie, nachdem er das Teufelsbuch an sich genommen, das seitdem für immer verschwunden ist. Die Braupfanne mit Gold ruht noch unversehrt im Falkenberg; niemand mehr weiß den Zauberspruch, der sie aus der Tiefe hebt, und die einzige Kunde, wie dies geschehen könne, ist für alle Zeiten verloren.
Lob und Genossen haben ihr Versprechen redlich gehalten, und sich, in Erinnerung der grauenhaften Nacht, wo sie beinahe dem Teufel verfallen wären, nie mehr mit Dingen abgegeben, die dem besten Christen allenfalls den Hals und die Seligkeit kosten können. Aber alle vier sind jung gestorben, an einem Knall, gerade nicht am Körper, aber im Herzen, und den haben sie nicht verwinden können ihr Leben lang.
Quelle: Meiche Sagenbuch der Sächsischen Schweiz und ihrer Randgebiete
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