Es ist ein altes Häusel im Dorf, da rankt sich am morschen Fachwerk der Wein hoch. Die beiden Kleinen, die gerade am Zaun stehen und neugierig durch die Latten spähen, geben auf alles genau acht, was sich da zeigt. Schwarze Hennen scharren nach Würmern - genau wie in anderen Gärten. Die Sonne guckt in die dunklen Fenster hinein. Zwischen den Storchschnabelstöcken, deren rote Blüten nur so leuchten, sonnt sich die Katze auf dem Fensterbrett. Sie schnappt nach den sumsenden Fliegen und schlägt mit den Pfoten nach ihnen. An das Fenster tritt eine alte Frau mit runzligem Gesicht und streichelt das weiche Fell, das wie schwarzer Samt glänzt. - Die Kinder drücken sich scheu an die Gartenmauer, den Fingerknöchel im Munde und laufen dann fort. Sie wispern, zeigen mit dem Finger und tun ganz geheimnisvoll. Da drinnen wohnt das Buttel. So bei Tage sieht man dem Häusel eigentlich nichts an; aber am Abend geht's hier um. Hu! da ist es wirklich nicht geheuer. Die Kinder, aber auch manches von den großen Mädchen fürchten sich, hier vorbeizugehen und machen gern einen Bogen herum.
Wie war es denn neulich?
Die Nacht kam. Neblig war es draußen. Die Barthels-Mädel mußten noch Milch holen. Sie wollten nicht gehen, weil sie so Angst hatten. Die Mutter griff schon nach dem Ochsenziemer, der am Türhaken hängt . . . da waren sie aber schnell hinaus. Dort bei der alten Wadel, beim Buttelhaus, sprang etwas über die Straße und verschwand drüben im Dunkeln. Die Marthel und die Grete rannten, so schnell sie konnten. Sie waren noch ganz außer Atem, als ihnen im Gute die Milch in den Tonkrug gefüllt wurde. „Mir geh'n nich beim Buttel vorbei“ meinte ängstlich die Kleinere, die Grete. „Hintenrum is so weit. Mir miss'n dort vorbei“ anwortete Marthel, die den Krug trug. Die Dorfstraße stapften sie herunter, bange wie die Hasen. Wenige Schritte noch, dann waren sie an dem Häusel vorbei, das so im Finstern steht.
Da reißt die Alte die Türe auf. (Die Suppe war drin übergekocht) Ein roter Lichtstreif fällt auf das Pflaster. Ein Windzug plautzt heftig die Türe wieder zu . . . draußen zwei gelle Schreie und ein Aufkrachen! Dann rennen die Mädels, rennen und rennen. „Das Buttel! Das Buttel!“ Voller Schrecken eilen sie nach Hause und kommen erst hinter der verriegelten Tür zur Ruhe.
Oben auf der Dorfstraße lagen Scherben. Die weiße Milch verrann zwischen den Steinen. Fenster und Türen waren geöffnet worden. „Was ist denn los?“ hörte man es fragen. Hastende Schritte verklangen in der Nacht. Die Wadel hatte auch herausgeguckt und etwas in sich hineingebrummt. Dabei schlüpfte der Kater heraus, und so gab es sich, daß er auf dem holprigen Pflaster saß und die Tropfen aus den Scherben leckte, während unten im Dorfe zwei Mädels, die tüchtig ausgezankt worden waren und ein paar Schellen bekommen hatten, heulend in ihre Betten krochen.
Die Marthel wollte sich gar nicht beruhigen. Ja, Frau Kajewski hatte auch davon gesprochen, daß es nachts da scheecht. Auch die großen Mädchen wußten zu erzählen. Singend kamen sie om Ballsaal, Arm in Arm. Dann verstummte das Lied. Ganz ruhig war es. Nur leise hörte man noch die Klänge der Musik vom Gasthof herunter. Unten am Teiche quarrten die Frösche und fern, ganz fern ein Nachtvogelruf. - Bei ihr drin war noch Licht. Es rasselte wie mit Ketten. Die dicke Meta sah auf der Türschwelle etwas rotes sitzen. Da ließen sich die Mädchen jählings los und liefen aufschreiend davon.
Das Buttel ist ein sonderbares Gespenstchen, ein Feuerteufelchen, ein rechter Kobold, ein Tausendkünstler, der sich in alles mögliche verwandeln kann. Tagsüber läuft oder liegt es als etwas Schwarzes herum: als Katze, Henne, Maus, Flederwisch, Lappen oder Schatten. Nachts aber erscheint es als rotleuchtender Spuk. Das Buttel hat so seine Launen. Es kann gutmütig sein und bringt dem Hause, wo es so gut gepflegt wird, wie bei der Wadel, Glück.
Wenn es duster wird, dann sagt die Alte zu ihrer Tochter: „Mach ihm das Essen zurecht!“ Sie brockt Semmel ein in einen Napf und gießt Milch oder Kaffee darüber. „Tu nicht so heeß druff gieß'n sonnst brennt's Haus ab!“ spricht fürsorglich die Wadelmutter und fühlt mit der Fingerspitze, ob es gerade recht ist. Das Hausgeistchen darf nicht verärgert werden; es ist empfindlich und rachsüchtig. Manche Dorfbewohner quält das Buttel recht boshaft und niederträchtig.
Rot blüht der Storchenschnabel am alten Häusel. Die eine Blüte sieht aus wie ein feixendes Teufelsgesicht. Rot leuchtet der Schein der untergehenden Sonne in den Scheiben. Die schwarzen Hühner verschwinden eins nach dem anderen aus dem Garten. Und das Buttel sinnt sich neue Schadtaten und Streiche aus für die kommende Nacht.
Quelle: Meiche Sagenbuch der Sächsischen Schweiz und ihrer Randgebiete
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