Bis in die neueste Zeit hinein glaubte man noch an den „Drachen". In mannigfacher Gestalt, meist als ein katzenähnliches Tier mit feurigem Schwanze, fuhr er in die Schornsteine der Häuser. Den Inhabern dieser Häuser bringt er Geld und Gold, Glück in allen Dingen. Man muß dem Drachen dann eine Schüssel Hirsebrei auf den Oberboden sehen; er verzehrt den Brei und legt statt dessen Geld in die Schüssel. Ein solches Geldstück kommt stets wieder, wenn es auch ausgegeben worden ist. Sieht man einen Drachen durch die Luft ziehen, so muß man rufen: „Kleck Hansel!", dann muß er alles, was er an Geld oder Kostbarkeiten bei sich trägt, ausspeien. Man soll nicht von dem Drachen oder von der betreffenden Person sprechen oder mit ihr in Berührung kommen, weil man damit diese Leute beleidigen könnte. Um sich vor dem Drachen zu schützen, soll man Kreide in ein Kästchen oder ins Geldkörbchen legen. Dann fährt er wieder zur Esse hinaus, und man hat seine Seele vor dem Teufel gerettet. An bestimmten Tagen, z. B. am Weihnachtsheiligabend, Silvester oder Neujahrsabende soll man diesen Leuten nichts borgen, sonst hätte man Unglück, und der Betreffende zöge das Glück an sich. Noch vor einigen Jahrzehnten hat ein Mann den Drachen mit feurigem Schwanz wahrhaftig in den Schornstein eines Hauses der Unterstadt hineinfahren sehen.
Allerhand Geschichten erzählt man sich vom Drachen. In den Schornstein eines Hauses auf der Frankenberger Straße soll ein Drache gefahren sein und dort „abgeladen" haben. In einem Hause der Unterstadt soll das „Hänsel" sein. Auf dem Anger geht ein Hund um. In dem Rittergute zu Börnichen befindet sich ein Zimmer, in dem es niemand leidet. Im Freigute Breitenau (früher Thiemendorf) sei ebenfalls eine solche Kammer. Jetzt aber sei aus ihr der Spuk verschwunden. Nach hundert Jahren aber komme er wieder. In einem Hause der Hainichener Straße soll auch der Drache umgehen. Um ein Haus in der Engen Gasse soll das „Totenmännel" gefahren sein. Der Besitzer ist bald daraus gestorben. Auch habe man die „Klagemutter" mit einem Barbiermesser in ein Haus gehen sehen. Auch dort sei bald ein Todesfall vorgekommen. Ein Wurm, der in der Holzwand bohrt, wird Totenuhr genannt. Wo man sein Geräusch hört, stirbt bald jemand. Auf der sumpfigen „Pfarrwiese" am Ehrenzuge (hinter dem Kriegerehrenmal) sollen böse Geister umgegangen sein. Sie wurden „Irrwischel" genannt. An der alten Straße nach Falkenau, bei der sogenannten „Ausspannung", stand früher mitten im Walde eine große Tanne. Bis dorthin spannten die Falkenauer Bauern ihre Pferde vor die schweren Lastgeschirre. Wenn die Fuhrleute mit ihren Geschirren in der Nachtstunde von elf bis zwölf Uhr an diese Stelle gelangten, konnten sie plötzlich nicht weiter. Eine unsichtbare Gewalt bannte sie an diese Stelle. Erst, nachdem die Fuhrleute die elfte Speiche eines Wagenrades zerschlagen hatten, konnten sie weiter fahren. Unwissende mußten einfach bis nach Mitternacht dort liegen bleiben.
In Neuhohelinde wohnte vor etwa hundertzwanzig Jahren der „Hübner Samel" (Samuel Hübner). Er soll mit den Geistern im Bunde gestanden, die Leute „fixiert" haben und „ab- und zugegangen" sein. Den Holzsammlern ist dieser Hübner oft ganz plötzlich erschienen und hat von ihnen Feuer für seine Tabakspfeife verlangt. Zitternd vor Furcht haben die Holzleser ihm welches gereicht. In ein Haus auf dem Markte habe dieser Mann „das Glück" gebracht. Als später dieses Haus abbrannte, brachte man das Brandunglück mit dem Geiste des „Hübner Samel" in Verbindung.
Als Ende der sechziger Jahre der erste Schnellzug in einer stillen Nacht über unsere Stadt in das Flöhatal hinabrollte und der Südwind den Schall nach der Stadt hereintrug, behaupteten die Leute, ganz deutlich den „Totenwagen" rasseln gehört zu haben, und das bedeutete einen baldigen Krieg. Das sind nur einige Geschichten, wie sie wohl heute noch im Kopfe ganz alter Leute „spuken" mögen.
Quelle: Richard Rentsch Geschichte der Stadt Oederan
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