Der Alaunsee bei Komotau

Chomutov (Komotau)

Eine Viertelstunde nordöstlich von Komotau liegt an der Straße und nächst dem Fußwege, welcher nach dem benachbarten Görkau führt, die Alaun- oder Schweizerhütte, eine Restauration im Schweizerstile, welche wegen ihrer reizenden Lage für die Bewohner Komotau's einen beliebten Ausflugsort bildet. Sie liegt in einem Kessel, welcher gegen Westen von einem schönen Eichenwäldchen, dem sogenannten Hüttenbusche, im Nordosten und Süden von Obstgärten eingesäumt ist, welche den in der Mitte des Kessels liegenden Hütten- oder Alaunsee einschließen. Auf dem Platze nun, den jetzt die spiegelglatte Fläche des Sees bedeckt, befand sich vor 300 Jahren ein Alaunbergwerk, von dessen Dasein noch rote Hügel an seinem Ufer zeugen. Bevor noch die Gewässer des Sees aus der Tiefe der Erde hervorquollen, befand sich dort ebenfalls ein Eichenwäldchen, wohin an Sonn- und Feiertagen die ehrsamen Bürgersleute Komotau's mit Weib und Kind hinauszogen, um sich zwischen den Bäumen und auf dem Rasen zu erlustigen und besonders an den milden Frühlingsabenden im Mai dem Gesange der Nachtigallen zu lauschen, welche sich sonst dort, wie in der Gegend überhaupt, in viel größerer Anzahl aufgehalten haben sollen, als jetzt. Noch heutzutage sieht man an dem Ufer des Sees die mitunter mächtigen Baumstrünke der abgesägten oder umgeschlagenen Eichenstämme wie Klippen aus dem Wasser hervorstehen, und schon mancher Lustfahrende hat mit ihrer Tücke Bekanntschaft gemacht, saß auf und konnte nur mit Mühe sein Fahrzeug wieder flott machen. – Über die Auffindung des Alaunbergwerkes und den Ursprung des Sees erzählt nun die Sage folgendes:

Um die Mitte des 16. Jahrhunderts lebte in Komotau ein Mann, der »dürre Merten« genannt, welcher im Besitze der schwarzen Kunst und als Prophet in der Stadt eine bedeutende Rolle spielte, und welcher allgemein wegen seiner Weisheit geehrt, aber auch wegen seiner Prophetengabe und übernatürlichen Geheimmittel gescheut wurde. Er erreichte ein Alter von 118 Jahren, lebte am Ende seiner Tage im Komotauer Spitale und fand schließlich einen gewaltsamen Tod durch Mörderhand. Er erließ viele Prophezeiungen, die lange im Volksmunde blieben und jetzt noch nicht völlig verwischt sind. Seine größte Prophezeiung bezog sich auf den 30jährigen Krieg und dessen Grund, auf das Erscheinen der Jesuiten in Komotau, und auf das tragische Ende des Georg Popel von Lobkowitz, des ehemaligen Herrn von Komotau. Außerdem prophezeite er einst: »Auf einer Wiese, welche von drei Seiten ein Kessel einschließt, ist ein großer Schatz verborgen, der durch Jahrhunderte Menschen und Geschlechter ernähren wird.«

Viele Leute von Geldgier getrieben, suchten emsig solche Plätze, welche mit der Prophezeiung übereinstimmten, auf und gruben, mit Schaufel und Haue bewaffnet, zur Nachtzeit nach dem verborgenen Schatze, erschreckten sich wohl oft gegenseitig, konnten jedoch nichts auffinden.

Einmal ging nun ein Fleischhauer aus Komotau, namens Lazarus Drohmann, der sich und seine alte gebrechliche Mutter durch sein Handwerk schlecht und recht ernährte, nach Rothenhaus bei Görkau, um Schlachtvieh einzukaufen. Er verspätete sich daselbst, da er nichts Passendes hatte finden können, und begab sich bei schon hereingebrochener Nacht nach Görkau, wo er Speise und Trank zu sich nahm und dann den Heimweg nach Komotau einschlug, als gerade der Türmer 11 Uhr blies. Er bemerkte es nicht, wie vom Milleschauer her schwarze, dichte Gewitterwolken herzogen. Bald brauste der Sturmwind einher, grelle Blitze beleuchteten auf Augenblicke den Weg und die ganze Gegend bis zu den Gipfeln des Erzgebirgs, und der Donner kam prasselnd und krachend im Gefolge. Lazarus beflügelte seine Schritte, um noch die Stadt vor dem völligen Ausbruch des Unwetters zu erreichen, aber vergeblich; gerade noch eine Viertelstunde war er von derselben entfernt und er hatte eben den Eichenwald betreten, dessen Platz jetzt der See einnimmt, als das Gewitter mit aller Macht entfesselt wurde. Er suchte vor dem herabströmenden Regen und dem wütenden Sturme hinter einem dichten Eichengestrüppe notdürftigen Schutz und verfiel bald, von der Müdigkeit übermannt, trotz Sturm und Wetter in einen festen Schlaf. Plötzlich, es schlug gerade 12 Uhr auf dem Komotauer Turme, fuhr, wenige Schritte von ihm entfernt, ein greller Blitz in die Erde und erleuchtete Gras, Gestrüpp und Bäume tageshell. Der grelle Lichtschein und der damit verbundene Donnerschlag erweckten ihn gewaltsam und er fuhr entsetzt in die Höhe. Da sah er, betäubt und staunend, wie der Blitzstrahl einige Sekunden auf einer Stelle wie festgebannt haften blieb, dann sich aber teilte, indem ein Teil des Strahles in die Höhe ging, der andere jedoch in der Erde verschwand. Lazarus war voll Schreck und Staunen einige Zeit sitzen geblieben. Endlich, nachdem er sich von seiner Betäubung erholt hatte, sprang er auf und setzte, da auch das Unwetter bereits weiter gezogen war, den Rückweg fort, im Herzen Gott dankend, daß ihn der Blitzstrahl nicht getroffen, und erreichte glücklich seine Hütte.

Nach acht Tagen wanderte Lazarus abermals Geschäfte halber nach Rothenhaus. Auch diesmal schlug er den Rückweg bei vorgerückter Nacht ein. Seinen Weg beleuchtete jedoch der freundliche Mond und wohlgemut trat er in den Schatten des Eichenwäldchens, wo er vor wenigen Tagen dem Tode, wie er glaubte, nur durch ein Wunder entronnen war. Wie er so sinnend auf dem weichen Rasen dahinschritt, stand plötzlich ein Mädchen in hellstrahlender Schönheit vor ihm.

Der Mond beschien durch die Zweige der Eichen ihre freundlich lieblichen Züge, und von ihrem weißen Gewande schien selbst ein heller Schimmer abzugehen. Sie grüßte ihn und reichte ihm ihre Hand. Er fragte verwundert: »Woher kommst Du und was willst Du?« »Ich komme weither aus schönen Landen und gehe dorthin, wo mich meine innere Stimme ruft. Ich fliehe die Nähe böser Menschen, aber gute suche ich auf und beglücke sie. Du hast ein gutes Herz, ich will Dich daher glücklich machen, komm' und folge mir.« Die holde Erscheinung schritt voran, so leicht, daß sie kaum den Boden zu berühren schien, freudig und beklommen zugleich folgte ihr Drohmann. Nach einigen hundert Schritten machte sie halt und zwar merkwürdigerweise auf derselben Stelle, wo er sich vor acht Tagen vor dem Ungewitter verborgen hatte. Kein Laut, kein Ton war zu vernehmen, selbst das Heimchen schlief, überall herrschte die Stille des Grabes. Da ertönten von der Stadt her die ernsten, tiefen Töne der Mitternachtsstunde und wie auf einen Zauberschlag begann es sich überall im Wäldchen auf dem Grase, zwischen den mächtigen Baumstämmen und dem niedrigen Gebüsche zu regen und zu bewegen; kleine Männlein mit Schurzleder und Kappe angethan, mit Hauen und Schaufeln versehen, eilten geschäftig herbei und begannen genau an dem Punkte, wo der eine Blitzstrahl sich in die Erde gesenkt hatte, zu graben, zu schaufeln und die Erde in winzigen Karren wegzufahren, daß es eine Lust war, ihnen zuzusehen. Im Umsehen war ein Stollen in die Erde getrieben und schon kamen daraus Männchen zum Vorschein, welche winzige Fäßlein pustend und schnaufend heraufrollten, die wiederum von anderen auf Wägelchen geladen und fortgeschafft wurden. Lazarus sah schweigend und verwundert dem geschäftigen Treiben der Gnomen zu, da schlug es 1 Uhr und wie mit einem Schlage war alles verschwunden, die Zwerge, der Stollen, die Fäßchen und Wägelchen, und Stille herrschte wieder ringsum. Er glaubte aus einem Traume erwacht zu sein. Wie er sich jedoch umsah, stand noch neben ihm das schöne Mädchen. Dasselbe sah ihn mit ernster Milde an und sprach: »Du sahest hier das Bild künftigen Fleißes. Die Erde, worauf wir stehen, birgt in ihrem Schoße Alaun und Schwefel. Ihr Gewinn gehört Dir. Gehe morgen wieder hierher, aber allein, und grabe um die zwölfte Stunde auf dem bestimmten Platze; wenn Du drei Schuh tief gegraben hast, wirst Du das Gesuchte finden. Dann erst können andere Dir helfen. Der Schatz, der in der Erde schlummert, ist groß, hebe ihn zu Deinem und der Mitmenschen Frommen. Wehe aber,« fuhr sie in noch ernsterem Tone fort, »wenn das Werk gierig und hastig, oder lässig und unachtsam betrieben wird, dann werden die Erdgeister den Schatz der Mutter Erde den Lässigen und Unachtsamen entrücken und sein Segen wird dem Lande für immer verschwunden sein. Lebe wohl!« Damit reichte sie ihm die Hand und ging schwebenden Ganges zwischen den Eichen dahin und je weiter sie ging, desto mehr schien es, als ob es ein heller Nebelstreif wäre, der sich am Waldesrasen dahinzog und der in der Ferne endlich verschwand. – In der folgenden Nacht verließ Lazarus heimlich seine Hütte, ohne der alten Mutter etwas von dem Erlebten mitgeteilt zu haben, und mit Spitzhaue und Schaufel versehen eilte er dem bekannten Wäldchen zu. Wiederum ballten sich über dem Erzgebirge Gewitterwolken zusammen, er aber ließ sich dadurch nicht in seinem Vorhaben zurückschrecken, glaubte er ja sicher und fest an die ihm gewordene Verheißung. Um 12 Uhr war er am Platze angelangt. Da brach aber auch mit furchtbarer Gewalt das Gewitter los und unter betäubendem Donner fuhr ein Blitz herab und senkte sich in geringer Entfernung von ihm in die Erde, alle Gegenstände ringsum grell beleuchtend. Dort erkannte er auch die Stelle, an welcher tags vorher die Zwerge gearbeitet, und nun begab er sich herzhaft ans Werk. Kaum hatte er mehrere Schuh tief gegraben, so stieß er auch auf das verheißene Alaun- und Schwefelerz. Frohlockend verließ er den Platz und eilte, da es Tag geworden, nach Sebastiansberg, um der Bergobrigkeit seinen großen Fund anzuzeigen. Er erhielt hierauf vom Erbherrn von Komotau, Johann von der Weitmühl, die Rechte und Privilegien, welche zum Betriebe des Bergwerkes notwendig waren, und nun begann ein reges Leben im stillen Eichenwäldchen, so wie er es früher schon erschaut. Er wurde ein reicher Mann und sein altes Mütterchen erlebte noch frohe Tage.

Und die armen Bewohner der Stadt, des Landes und Gebirges genossen mit an dem Segen der Erde, und derselbe schien bei fleißigem und verständigem Betriebe eher zu- als abzunehmen, denn – wie der dürre Merten prophezeit hatte – »das Alaunerz wuchs unter der Stadt mit Gewalt.« Aber die ausgesprochene Drohung der weißen Jungfrau sollte ebenfalls in Erfüllung gehen. So lange das Werk mit Fleiß und Sorgfalt betrieben wurde, trug es reichlichen Gewinn und war ein Segen für Stadt und Land. Da kam es jedoch in habsüchtige Hände, es sollte rasch und viel gefördert werden, die Gänge und Stollen wurden nicht mit der alten Sorgfalt getrieben und erhalten, weil die Kosten der Erhaltung gescheut wurden. Da stieß man eines Tages in einem neu angelegten Stollen auf ungewöhnlich reiche Alaungänge, aber auch beim Weitergraben auf eine Quelle, deren Wasser lustig hervorsprudelte. Ein erfahrner alter Bergmann riet dem Bergwerksvorsteher, hier nicht weiter graben zu lassen, sondern den Stollen zu verbauen; aber sein Rat wurde verworfen, der prophezeiten Gefahr durch die kleine Quelle gespottet, winkte ja in dem neuen Stollen reicher Gewinn. Aber siehe, je weiter man arbeitete, desto mächtiger sprudelte die Quelle hervor, alle Versuche, sie zu verstopfen, mißlangen, das Wasser füllte den neuen Stollen, es stieg in die alten und stieg von Stunde zu Stunde immer höher, so daß die Bergleute eilig die Schächte verlassen mußten und keiner mehr in die Tiefe hinab fahren konnte. Endlich stieg es im mächtigen Schwalle bis zum Ausgange und füllte schließlich die Tiefe des ganzen Kessels und beherrschte als Sieger den ganzen Raum, wo früher viele zufriedene Menschen thätig gewesen waren. So entstand der jetzige Hütten- oder Alaunsee aus einer kleinen Quelle, und so war die Drohung in Erfüllung gegangen. Die Erdgeister hatten den Schatz wieder hinabgesenkt in die Erde, und die Wassergeister hüten ihn mit zähem Neide bis an den heutigen Tag. Selbst auf dem Wasser des Sees scheint noch der alte Fluch zu liegen, denn nichts lebendes kommt darin vor, kein Fisch schnellt über dem Spiegel nach spielenden Mücken empor, kein Wasserkäfer rudert darin emsig hin und her, sein Ufer bedeckt kein rauschendes Schilf, in welchem der Rohrsperling sein Unwesen treibt oder der Rohrsänger seinen schönen Gesang ertönen läßt und das Wasserhuhn scheu sich birgt, nur selten lassen sich im Fluge, von seinem Spiegel gelockt, Wasservögel darauf nieder, um ihn enttäuscht nach kurzer Rast wieder zu verlassen; es herrscht auf ihm die Stille und der Friede eines Kirchhofes. Die Quelle, welche den See geschaffen, sprudelt noch fort. Wenn im Winter der Frost seine Decke darüber spannt, friert die Stelle am spätesten zu und sie birgt gebrechliches Eis. Schon manches Opfer der Unvorsichtigkeit hat sie in ihre Tiefe gezogen.

Quelle: Köhler Sagenbuch des Erzgebirges


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