Geht der Wanderer von Schlackenwerth durch das enge, anmutige Weseritzthal nach Joachimsthal, und klettert er, bei der sogenannten Petermühle (Schöffl-Mühle) angekommen, zur Rechten am reichbewaldeten Bergabhange empor, so gelangt er zum Braunstein, einem Bergkegel, welcher vor einigen Jahren mit Wald gekrönt war, jetzt aber nahezu gänzlich abgeholzt ist. – Auf dem Braunsteine stand, wie der Volksmund erzählt, in uralten Zeiten ein Schloß, dessen Nähe jeder Umwohner scheute. Obgleich es unbewohnt war, sah man doch in stürmischen, finstern Nächten die Fenster des Schlosses prachtvoll beleuchtet, und mancher Pilgrim, der dasselbe aus Neugierde betrat, kehrte nicht mehr zurück. – Trotz alledem schlug einmal ein herzhafter Handwerksbursche alle Warnungen in den Wind und lenkte eines Abends, als die Sonne hinter den Bergen verschwunden war, seine Schritte dem gefürchteten Schlosse zu, um dort zu übernachten. Ringsumher herrschte tiefes Schweigen. Er stieg die Treppe empor, schritt durch das hohe Portal ungehindert fürbaß und gelangte in einen geräumigen, tageshell erleuchteten Saal, in welchem eine lange Tafel stand. An dieser nahm er Platz und verfiel allmählich gegen seinen Willen in einen festen Schlaf. Um die Mitternachtsstunde aber weckte den Handwerksburschen ein heftiges Klopfen. Er erwachte und erstaunte, daß die Tafel gedeckt und mit Speisen und Getränken in Fülle beladen war. Da öffnete sich plötzlich die Thür, und in den Saal trat ein graubärtiger Greis, dem seine Familie folgte. Nachdem die Angekommenen sich an die Tafel gesetzt hatten, unterbrach der Alte das Stillschweigen, indem er sagte: »Willkommen, Fremdling, in meinen Hallen! Hier hast Du Speise und Trank im Überfluß; iß und trink, was Dir beliebt!« Darnach wollte er ohne weiteres die Mahlzeit einnehmen, doch der Wandersmann sprang im Nu von seinem Sitze auf, gab dem Greise einen derben Backenstreich und rief: »Beten muß man, bevor man ißt!« – Diesen Worten folgte ein furchtbarer Donnerschlag, worauf der Alte sagte: »Habe Dank, braver Geselle, Du hast durch Deine Frömmigkeit mich und die Meinen erlöst! Vernimm in Kürze meinen Lebenswandel! Mein Vater war ein mächtiger Ritter, meine Mutter eine gute und fromme Frau. Als einziger Sohn war ich der Eltern Stolz und wurde mit größter Liebe und Sorgfalt erzogen; allein ich bereitete denselben für ihre Mühen und Opfer nur unsägliches Herzeleid. Denn am Gebete fand ich keinen Gefallen, verhöhnte alles, was dem Menschen heilig und ehrwürdig sein muß, und sank in meiner Verblendung immer tiefer und tiefer. Zuletzt zog ich als Familienvater Frau und Kinder mit ins Verderben. Aber Gottes gerechtes Strafgericht ereilte uns bald. Eins nach dem andern starb und wurde in dieses Schloß entrückt mit der Bestimmung, hier so lange zu hausen, bis ein frommer Mensch uns erlösen würde. Viele kamen schon vor Dir, allein da sie unlauteren Herzens waren, fanden sie insgesamt ihren Tod. Auch Dich hätte ein gleiches Los getroffen, wenn Du nicht gottesfürchtig gewesen wärest. Du kannst Dir nicht denken, welche Angst mich befiel, als ich Dich versuchte. Hättest Du die Probe nicht bestanden, so müßten wir noch länger in diesen Räumen verwünscht umherwandeln. Jetzt komm' und folge mir!« Der Handwerksbursche willfahrte dieser Aufforderung und so führte ihn der Greis abwärts in einen weiten Gang, wo dem Eintretenden Kessel mit Gold und Silber entgegenblinkten. »Nimm von diesen Schätzen,« hub der Alte an, »so viel Du tragen kannst; laß jedoch davon eine Kapelle erbauen, und gieb den Armen und Notleidenden reichliche Almosen.« Nach diesen Worten verschwand er. – Der Fremdling that, wie ihm geheißen, und verließ ungesäumt das Schloß, das schon längst von der Bergeshöhe in Staub gesunken ist. Er erfüllte aber auch aufs Gewissenhafteste des Greises Begehren und blieb glücklich sein Leben lang.
Quelle: Köhler Sagenbuch des Erzgebirges
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