Die Wunderblume auf dem Spitzberge bei Gottesgab

Bozi Dar (Gottesgab)

In südwestlicher Richtung von Gottesgab erhebt sich der kegelförmige basaltische, mit Wald bedeckte Spitzberg. Auf demselben stand nach der Sage in alten Zeiten ein großes, festes Schloß. Dort hauste mit gleichgesinnten Spießgesellen ein Ritter, der als Räuber und Mörder sich in der ganzen Gegend furchtbar machte. Einst geschah es, daß ein greiser Mönch aus dem nahen Kloster zu Mariasorg bei dichtem Nebel sich auf dem öden Heideplateau verirrte und in die ruchlosen Hände dieser Räuber fiel. Sie schleppten den Priester auf ihr schwer zugängliches Raubnest und warfen ihn unbarmherzig ins Burgverließ, wo er eines qualvollen Hungertodes sterben sollte. – Als die gottlosen Missethäter im Saale sich bei lärmendem Becherklang ihrer ausgeführten Verbrechen in frechen Lästerreden rühmten, sank der dem Tode überlieferte Mönch auf die Knie und flehte im inbrünstigen Gebete zu Gott, dem starken Helfer in der Not, daß er die berüchtigte Mörderburg in einen Schutthaufen verwandle. Plötzlich machte ein furchtbarer Donnerschlag die Mauern des stolzen Schlosses wanken, sie stürzten zusammen und begruben die Räuber unter ihren Trümmern; nur der Mönch wurde gerettet. Die angehäuften Schätze aber versanken in des Berges inneren Schoß. – Nach langen Jahren träumte einmal einem armen, frommen Hirtenjungen drei Nächte hintereinander, daß er dazu erkoren sei, den im Innern des Spitzberges verborgenen Schatz zu heben. Zwei Tage hatte er schon seine Kühe auf diesem Berge geweidet, und noch war ihm kein Anzeichen geschehen. Als er nun am dritten Tage – es war der Karfreitag – wieder seine Herde am Spitzberge hütete, sah er auf einmal auf einem nahen Felsblocke eine wunderschöne gelbe Blume stehen. Ei, dachte er, eine so schöne Blume habe ich in unseren Bergen und Thälern noch nicht gesehen! Ich werde sie pflücken und auf meinen Hut stecken, gewiß werden alle daheim die Schönheit der Blume bewundern. Gedacht, gethan. Kaum hatte er aber mit der Blume den Hut geschmückt, als unter einem fürchterlichen Knall sich der Berg aufthat. Der Hirt sah sofort eine weitgeöffnete Thür im Felsen, vor der ein kaum spannenhohes Männlein stand, das ihm zu folgen winkte. Obwohl er durch diese unerwarteten, wunderbaren Vorgänge für den Augenblick aus der Fassung gekommen war, nahm er doch allen Mut zusammen und schritt seinem Führer nach. Der Weg ging erst durch dunkle, dann magisch erleuchtete Gewölbe, deren Wände diamantartig glitzerten, bis beide endlich in einen überaus prachtvollen Saal gelangten, der mit den kostbarsten Schätzen aller Art angefüllt war, und in dessen Mitte sich eine weißgekleidete Jungfrau befand. Diese betrachtete den erstaunten Hirtenjungen mit freundlichen Blicken und hub dann lächelnd an: »Hier hast Du die feinsten und auserlesensten Speisen, genieße von ihnen! Wohin Du blickst, sind ganze Haufen von Gold, Perlen, Edelsteinen und köstlichen Gewanden aufgeschichtet. Nimm Dir davon, soviel Dein Herz begehrt; doch vergiß das Beste nicht!« Der Junge, durch die vernommenen Worte ermutigt, griff nach den besten Speisen und aß und trank, steckte sich hernach Hut und Taschen voll Gold und Edelsteine, und schickte sich zum Rückwege an. »Vergiß doch das Beste nicht!« rief lauter und ängstlicher zum zweitenmale die Jungfrau mit flehenden Gebärden. Der Hirtenjunge spähte umher und erblickte zu seiner Verwunderung eine Peitsche, welche vortrefflich zu seinem Geschäfte zu passen schien. Da dachte er: Du hast dir schon von allen Schätzen im Überfluß genommen; diese Peitsche da wird jedenfalls das Beste für dich sein! Mithin griff er ohne Bedenken nach der Peitsche. Da fing aber die Jungfrau bitterlich zu weinen und zu wehklagen an; ein plötzlicher Donnerschlag erschütterte den Saal so, daß der Boden unter den Füßen des Hirten wankte, der im Nu wieder auf der Oberfläche des Berges stand. Jetzt erst erinnerte er sich an seine Wunderblume. Mit Hast griff er an den Hut, um sie herabzunehmen, aber er bemerkte zu seinem größten Leidwesen, daß er sie unter den Schätzen im Felsensaale zurückgelassen habe. – Mit den Worten: »Vergiß doch das Beste nicht!« hatte die Jungfrau die gelbe Blume, den Schlüssel zum verzauberten Schlosse gemeint. Hätte der Junge dieselbe nicht vergessen, so würde er nicht nur die Jungfrau von ihrem Zauber befreit, sondern auch den ganzen Schatz gehoben haben. Seit dieser Zeit hat niemand die Zauberblume, die alle tausend Jahre einmal zum Vorschein kommen soll, auf dem Spitzberge gefunden, in dessen Innerem auch der Schatz noch heute verborgen liegt. Der Hirtenjunge aber, der ein reicher Mann wurde, wäre zweifellos noch reicher und glücklicher geworden, wenn er nicht das Beste vergessen hätte.

Quelle: Köhler Sagenbuch des Erzgebirges


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Vermuteter Sagen-Ort (ich war ja nicht dabei). Wer es besser weiß, kann mir bitte bitte einen Tipp geben.